PHÖNIX AUS DER ASCHE
MHAUPTSTRASSE 7 in 74861 NEUDENAU
Als im November 2019 ein verheerender Großbrand eines der größten Fachwerkhäuser in der bis dahin seit Mitte des 19. Jahrhunderts ungestörten Straßenzeile der Neudauer Hauptstraße, auf katastrophale Art und Weise zerstörte, war der enorme Kraftakt der erforderlich werden sollte, um diese Lücke in dieser kleinen gewachsenen Altstadt wieder zu schließen, zwar zu erahnen, jedoch in seiner Gänze und sich lang hinziehenden Anstrengung nicht abzusehen. Allerdings wurde durch einen mehrtägigen Einsatz der Freiwilligen Feuerwehren und des Technischen Hilfswerkes sowie des Roten Kreuzes bereits am Tage des Unglücks bewusst, welchen enormen Verlust die kleine Stadt durch die Katastrophe erlitten hatte.
Der Brand zerstörte ein mehrgeschossiges Fachwerkgebäude, dessen überlieferte Gestalt inschriftlich auf das Jahr 1701 datiert werden konnte. Der unter dem Gebäude liegende Gewölbekeller, der in mehreren Abschnitten errichtet wurde, wurde lange zuvor von den Bauforschern im Rahmen einer tiefgreifenden Reihenuntersuchung, auf die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts geschätzt. Beide Bauwerke gemeinsam bildeten das sogenannte „Gasthaus zum Engel“, welches bis zur Brandkatastrophe noch als Weinstube existierte. Zwar war der historische Gebäudebestand bereits durch sehr eingreifende Umbaumaßnamen in den 1970er und 1980er Jahren dezimiert, es bestanden jedoch unbestätigte Hinweise, dass in dem Gebäudekern noch ältere Gebäuderest gesteckt haben könnten.
Der Brand zerstörte die gesamte Holzkonstruktion aus Eichenholz und brachte Teile von Decken zum Einsturz. Lediglich die Decke über dem Erdgeschoss des Gebäudes blieb vom Feuer verschont, wurde jedoch durch das erforderliche Löschwasser schwer in Mitleidenschaft gezogen. Auch die beiden benachbarten Gebäude in der dicht stehenden Zeile wurden durch den Brand beschädigt, konnte jedoch von den Rettungskräften gesichert werden.
Bereits am Morgen nach der Brandkatastrophe war klar, dass von dem einstmals stolzen Gebäude nicht viel mehr als der Keller und das Erdgeschoss stehen bleiben konnte, da die enorme Hitzeeinwirkung in die Querschnitte der Eichenkonstruktionen erheblich geschwächt hatte und die Ruine drohte einzustürzen. Die aufgehende Fachwerkkonstruktion musste daher unter besonderen Einsatz des Technischen Hilfswerks und mit umgehender Zustimmung der Denkmalschutzbehörden rasch abgetragen werden.
Das einmalige Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung, war für die Nachwelt verloren.
Tragischerweise kamen bei dem Unglück auch die damaligen Eigentümer und Bewohner ums Leben, sodass anfänglich völlig unklar war, ob ein Wiederaufbau überhaupt gelingen könnte. Erst 1,5 Jahre später fand sich, durch eine starke Initiative des damaligen Neudenauer Bürgermeisters, ein Privatmann aus einem benachbarten Ort, der persönlich mit seiner Heimatregion sehr stark verbunden ist. Gemeinsam mit diesem Bauherrn gelang nun das kleine Wunder von Neudenau.
In die schmale Baulücke wurde ein Neubau geplant, welcher die Grundform und exakte Höhe des vormaligen Gebäudes aufgreift und, für die Stadtgeschichte wichtigen Elemente, wie Teile der Erdgeschoss-Außenwände und dem Gewölbekeller integriert und damit nachhaltig erhält. An der Südseite fügt sich das neue Gebäude heute mit seinen leichten Etagenvorstößen in die Zeile der Altstadt ein. Die Gesamterscheinung der harmonischen Altstadt war an dieser Stelle wichtiger als der architektonische Entwurf. Das Gebäude ordnet sich in seiner Gestaltung den horizontalen Linien des Straßenzuges unter und passt sich in die Umgebung ein.
Da der Grundriss des Gebäudes, auf Basis des Vorgängerbaues trapezförmig werden sollte, die Firstlinie jedoch ein einheitliche Höhe beibehalten sollte, musste die Dachkonstruktion als schiftende Dachflächen errichtet werden, was ebenfalls der Erscheinung des Vorgängerbaues folgt. An der Südseite steigt das Dach mit 55° in den Himmel, bereits an der Nordseite sind schon 65° Dachneigung. Jedes Sparrenpaar hat eine eigene Neigung.
Eine besondere neudenauer Tradition musste bei diesem besonderen Bauvorhaben unbedingt berücksichtigt werden. Im Neubau tragen die Gebäude traditionell in der Spitze des Giebels einen sogenannten „Neidkopf“. Ein Neidkopf ist eine plastische Darstellung eines Gesichtes, welches Fratzen und Grimassen schneidet und vermutlich dazu dient, böse Geister vom Haus abzuhalten. Der einstmals an der Hauptstraße 7 vorhandene Neidkopf wurde, ebenso wie der Rest der Holzkonstruktion, ein ein Raub der Flammen. Dementsprechend stand außer Frage, dass ein neuer Neidkopf geschaffen werden musste.
Der Schwäbisch Haller Bildhauer Stefan Vollrath schuf im Auftrag unseres Büros eine neuere Interpretationen der bis dahin als Flachrelief vorkommenden Zierköpfe. Der Neidkopf wurde traditionell vom Baumeister an den Bauherrn gespendet und bekrönt heute wieder einen der markantesten Giebelplätze in der alten kurmainzischen Stadt.
Durch eine enorme gemeinsame Anstrengung des Bauherrn, der Handwerker, der Behörden, der damaligen Stadtverwaltung und der Planer, Gelang es, die Zahnlücke in der Häuserzeile wieder mit einem stolzen Gebäude zu füllen indem nunmehr 5 barrierefreie Wohnungen Platz finden. Als besonders positiv entwickelte sich die Nutzung des Erdgeschosses als eine junge Bürgerin, mit Wurzeln in Neudenau, damit begann hier ein Tagescafé einzurichten, sodass heute wieder das Leben an diesem Ort eingezogen ist und die gastronomische Tradition an dieser Stelle erhalten bleiben konnte.
GEMARKUNG
Stadt Neudenau
BAUALTER
2023 (Keller Mitte 14. Jahrhundert)
STATUS
Wohnhaus, Gewölbekeller Kulturdenkmal (§2 DSchG)
NUTZUNG
Mehrparteien-Wohnhaus und Café
BAUHERR
privater Auftraggeber
LEISTUNGEN S.P
- Bestandsvermessung
- Bestandsdokumentation GKS I
- Projektierung
- Vollständige Planung und Ausführungsüberwachung (LPH 01-08)
- Fördermittelbeschaffung
- Verlaufsdokumentation
MASSNAHMEN
- Rückbau
- Statische Instandsetzung Gewölbekeller
- Instandsetzung Reste von Fassaden
- Neubau mehrgeschossiges Massivgebäude
VOLUMEN
–
UMSETZUNGSZEITRAUM
2021 bis 2023