ZEITZEUGE IN SCHIEFLAGE

KELTER IN GROSSGLATTBACH

Seit den beginnenden 1980er Jahren galt die historische Kelter in Mühlacker-Großglattbach als gefährdetes Objekt. Der Volksmund sprach bereits seit jener Zeit gar von Einsturzgefahr. Aus der Sicht von bautechnischen Laien ist dieser Eindruck verständlich: Ein erkennbar deformiertes Gebäude, das seit vielen Jahren in seinem Innern mit unendlich scheinenden Mengen von Sprießen und Streben „zusammengehalten“ wird, kann eigentlich keinen soliden Eindruck hinterlassen.

Die Stadt als Eigentümerin war sich ihrer Unterhaltungsverpflichtung bewusst und lies durch das Büro Crowell / Karlsruhe 1986 eine zeichnerische Bestandsaufnahme anfertigen, um die vorhandenen Schäden zu dokumentieren und, um im Rahmen einer Neunutzungsplanung denkmalpflegerische Belange berücksichtigen zu können. Hieran angeschlossene Gutachten und weiterführende Untersuchungen durch Statiker und Architekten führten zunächst zu dramatischen Ergebnissen aus Sicht der Statiker und zu aufwändigen, jährlichen „Nachmessaktionen“, welche eine Weiterentwicklung der Deformationsprozesse an der westlichen Hausseite kontrollieren sollten. Leider ist allen vorliegenden Gutachten aus jener Zeit nicht zu entnehmen, was genau die eigentliche Ursache für die absinkende Westseite zu ist. Klar war nur: „Es muss etwas geschehen““. Die, aus dem Bewusstsein eines Handlungsbedarfes entwickelten Instandsetzungs- und Umbaupläne zu gewerblichen und zu Wohnungsnutzungen sind letztendlich allesamt wegen zu hoher Kosten gescheitert; was aus heutiger Sicht sehr zu begrüßen ist. Mit der auslaufenden Ortsanierung wurde das Thema Kelter Großglattbach im Jahr 2002 durch das Amt für Gebäudemanagement der Stadtverwaltung abermals aufgegriffen.

In der näheren Auseinandersetzung mit dem Schadensverlauf und der daraus gewonnenen Erkenntnis der Schadensursache legte das Büro für historische Bauforschung und Stadtsanierung aus Schwäbisch Hall im Frühjahr 2004 eine Instandsetzungskonzeption vor. Die hierzu notwendigen Maßnahmen einer Grundsicherung wurden durch die Befunde aus daraufhin gezogenen Bodenproben aus der westlich des Objektes vorbei führenden Vogeltalgasse bestätigt. Die Kelter war zu ihrer Bauzeit 1550 –d- mit ihrer östlichen Traufwand auf hier anstehenden Fels gegründet worden. Die gesamte Westpartie aber wurde in eine zur Bauzeit bereits seit rund 100-200 Jahren aufgefüllte, ehemalige Bachklinge gesetzt. Die Bodenbohrproben aus der heute noch mit dem erhaltenen Begriff „Vogeltal“ – Gasse belegten Naturklinge enthielten in unterschiedlichen Tiefen z.T. Scherben mittelalterlicher Gefäße, woraus eindeutig eine kontinuierliche Auffüllungstätigkeit vor 1550 abzulesen ist. Die Proben erreichen an der Südwestecke des Gebäudes erst in 8m Tiefe unter dem heutigen Niveau festen Grund. Die natürlich entstandene Klinge besaß ursprünglich also steile Böschungen. Interessant dürfte in diesem Zusammenhang die Beobachtung sein, dass das mittelalterliche Großglattbach einst mit dieser einst steil in die Geländelage eingeschnittene Klinge seine westliche Siedlungsgrenze markierte. Im ausgehenden Mittelalter wurde diese –möglicherweise nur zeitweise Wasser führende- Klinge dann als Entsorgungsbereich genutzt und verfüllte sich im Lauf der Zeit, wobei die ursprüngliche Funktion des Wasserabflusses aus den in nördlichen Geländebereichen höher gelegenen Gebieten sich augenscheinlich in den Untergrund verzog; das „Vogeltal“ war fortan nun oberflächlich „trocken“. Die Setzungsdrücke der Auffüllungen und die nach wie vor gegebenen Spülbewegungen durch Grundwässer führ(t)en aber nach wie vor zu Verdichtungen und nachfolgenden Oberflächensetzungen, was die Westseite der Kelter bisher auch durch stetes Absinken entsprechend beantwortet hat. In der Folge der Absenkungen der westlichen Wandpartie begann dann natürlich auch der Dachstuhl des Gebäudes nach zu sinken.

Historische Keltergebäude sind eigentlich nur als Schutzdächer für die unter denselben aufgestellten, riesigen Baumkeltern zu verstehen- entsprechend schlicht und materialsparend sind diese Schutzbauten konzipiert. So besitzt auch die rund 30 m lange Großglattbacher Kelter keine durchgängig eingelegte Deckenbalkenlage über der eigentlichen Nutzungsebene, sondern lediglich einige, die Statik wahrende, sog. „Bundbalken“, deren wesentliche Aufgabe es ist, das Gebäude in der Querrichtung zusammen zu halten und den Schubkräften der Satteldachhälften entgegen zu treten. Diese Bundbalken sind in die beiden Traufwände eingebunden und –im hier vorhandenen Gefüge- angesichts ihre rund 14 m Länge durch einen längsmittig eingezogenen Unterzug auf Stützen unterstützt. Die lasttragenden Achsen des auf den t  raufseitigen Enden der Bundbalken aufgesetzten, liegenden Dachstuhls folgen naturgemäß jeder Abwärtsbewegung – sofern diese denn eintritt – was hier an der Westseite über viele Jahrzehnte der Fall war. [GS]



GEMARKUNG

Stadt Mühlacker, Ortsteil Großglattbach

BAUALTER

1550-d-

STATUS

Kulturdenkmal (§2 DSchG)

NUTZUNG

Kommunales Lagergebäude

BAUHERR

Stadt Mühlacker

LEISTUNGEN S.P

  • Bestandsdokumentation GKS II
  • Planung und Ausführungsüberwachung
  • Verlaufsdokumentation


MASSNAHMEN

  • Sicherungsarbeiten
  • Instandsetzung Tragwerk
  • Instandsetzung Fassaden

VOLUMEN

UMSETZUNGSZEITRAUM

2004 bis 2006