Ein Interview mit Ferdinand M. Schäfer
Ferdinand M. Schäfer ist als junger Architekt und Städtebauer mit den Herausforderungen von morgen, die an das Bauen gestellt werden tagtäglich konfrontiert. Für ihn trifft heute eine etablierte und ihrem Standard faul gewordene Welt des Bauens auf völlig neue Herausforderungen, mit denen sie nur sehr schwer zurecht kommt. Grund genug für ihn, einmal kritisch auf die übliche Planungs- und Baupraxis zu blicken.
Herr Schäfer, die wohl wichtigste Frage die man einem Architekten, direkt nach der Frage wo er studiert hat stellen kann, ist: Warum sind Sie Architekt geworden?
Zur Architektur kam ich wie die Nonne zum Kind. Nach meinem Schulabschluss wollte ich eigentlich Medizin studieren. Erst die Zusage an der Bauhaus-Uni, und die ersten paar Wochen Studium haben mich endgültig überzeugt. Architektur ist für mich zum Lebensinhalt geworden. Mein Vater war es, der irgendwann einmal meinte ‚probier‘ doch mal die Architektur‘. Und diesem Ruf bin ich gefolgt, weil ich unsicher war, was werden soll. Als ich zum ersten Mal Professor Bernd Rudolph in Weimar richtig zugehört habe, hatte mich das ganze Thema des Menschen und das Bewusstsein der Welt um ihn – der gebauten Welt – ergriffen. Ab diesem Augenblick beschloss ich wohl unbewusst, meine Zeit auf der Welt damit zu verbringen, diesen Geist zu suchen und zu befördern.
Haben Sie es seit dem bereut diesen Weg eingeschlagen zu haben?
Oh ja, einige Male schon. Obwohl man hier vielleicht eher von einem konstruktiven verzweifeln über Sinnfragen der Architektur sprechen kann, als echter Reue an der eigenen Entscheidung. Vielleicht ist das Leidenschaft, vielleicht auch Ehrgeiz (lacht). Ich beneide manchmal Ärzte oder Rechtsanwälte – kurz um Berufe, in denen die eigene Persönlichkeit nicht die zentrale Rolle spielt und man sich mehr an allgemein bekannte Regeln halten kann. Im Bauen gibt es – vor allem in Deutschland – sehr viele Regeln. In der Architektur ist das nicht so. David Chipperfield hat sich 2014 mit seinem Thema zur Biennale schon gemüht, den ‚common ground‘ also die gemeinsamen Werte der Architektur zu beschreiben und tat sich schon schwer damit. Echte Architektur lebt von vielem, vor allem vom Wesen des Architekten. Das verwechseln leider viele. Die meisten sprechen vom Bauen, wenn sie an Architektur denken.
Sie differenzieren die Begrifflichkeiten ‚Bauen‘ und ‚Architektur‘?
Ja allerdings. Die Architektur ist das theoretisch Vorrausgedachte. Das hat mit der Umsetzung oder mit Baustoffen gar nichts zu tun. Architektur ist der Pathos, der Stil, die Gestaltung, die mithilfe des Bauens in die Realität umgesetzt wird. Bauen ist im Grunde nichts Schweres, es ist viel mehr eine Frage davon, wie lange man für die Errichtung von einem Haus oder einer Wand oder sonst was braucht. Architektur zu schaffen ist schwerer.
Damit sind wir ja schon mitten im Thema: Sie sagen die moderne Architektur muss sich heute Herausforderungen stellen, die sie noch nicht erkannt hat und mit denen sie nicht weiß, wie sie damit umgehen soll. Was bedeutet das?
Dass sie sie nicht kennt ist nicht ganz richtig. Sie erkennt sie immer mehr Viele Kolleginnen und Kollegen mühen sich ja stetig kreative Innovationen zu entwickeln und dabei nicht den Spirit zu verlieren. Vielleicht ist es eher eine Frage der Akzeptanz. Ich glaube, dass die Mehrzahl der Architektinnen und Architekten die neuen Herausforderungen und Anforderungen nicht ausreichend anerkennt. Nehmen wir zum Beispiel den Ressourcenschutz: Nicht jeder Architekt denkt bei jedem Projekt automatisch darüber nach, wie man mit dem aktuellen Entwurf Ressourcen sparen kann. Das können wir uns im Grunde schon heute gar nicht mehr erlauben. Wir müssen nicht jetzt damit anfangen darüber nachzudenken, wie wir Architektur in der breiten Masse ‚grüner‘ machen, wir müssen das als einen völlig selbstverständlichen Bestandteil unserer Arbeit anerkennen. In den
Niederlanden ist das schon weiter fortgeschritten. Dort hat sich eine Art ‚Wettbewerb‘ um den nachhaltigsten Entwurf etabliert. Das befördert zumindest die Entwicklung dieses Motivs.
Aber in Deutschland ist das nicht so?
Nein. Die Deutschen hängen noch viel zu fest in einem konventionellen Kosmos des Bauens, der von Nachfrage, Bauwirtschaft und Geldpolitik bestimmt wird. Sich hier in Richtung ‚green and simple‘ zu positionieren ist sehr schwer. Deswegen wird es auch so gehyped, wenn es einem Kollegen oder einer Kollegin gelingt. Echte und dauerhafte Nachhaltigkeit ist hier zu Lande noch längst nicht so populär wie ‚fast and cheap‘.
Wie glauben Sie kann das dann gelingen, wenn Anforderung und Nachfrage so weit auseinanderdifferieren?
Am Ende wird es über den Geldbeutel entschieden werden, wie so vieles andere auch. Erst wenn es in irgendeiner Weise ‚günstiger‘ wird ‚grün‘ zu denken als ausschließlich im Verbrauch zu kalkulieren, wird sich eine Wende in den Köpfen einstellen. Die Besteuerung von CO2 ist ein erster, meiner Auffassung nach, sinnvoller Schritt in diese Richtung. Allerdings trifft es vermutlich – wie so oft – die falschen. Die meisten Bauherren werden diese zusätzlichen Aufwände einfach auf den Mietpreis umlegen. Im stärksten europäischen Mieterland trifft das dann die, die den Käse nicht veranstalten.
Solange wir weiter so machen, dass uns der Verbrauch von Roh- und Baustoffen nicht das Geringste juckt, solange werden wir auf keinen – im wahrsten Sinne des Wortes – grünen Zweig kommen. Interessant ist in diesem Kontext der Bestandsbau per se. Den ökonomischen Wert, aber ebenso den ökologischen Wert eines bestehenden Gebäudes haben noch nicht alle so richtig nachvollzogen, sonst würde so manches Abbruchurteil weniger schnell fallen. Bestehende Gebäude sind grundsätzlich energetisch wertvoll weil sie schon vorhanden sind und nicht ‚teuer‘ hergestellt werden müssen. Wenn wir diese schlummernde Ressource weiter in die Wahrnehmung rücken können, ist schon viel gewonnen auf dem Weg zum klimafreundlichen Bauen. Wir dürfen dabei nämlich nicht vergessen, dass die Energie, die für die Herstellung eines Gebäudes aufgewendet werden muss, in einem bestehenden Gebäude ja nach wie vor drin steckt. Ein Abbruch bedeutet immer den Verlust dieser Energie. Eine Weiternutzung bedeutet eine energetische Konsolidierung. Das haben im Übrigen auch schon viele Baumeistergenerationen vor uns gewusst, sonst gäbe es wohl kaum eine solche Vielzahl von historischen Altbauten in Deutschland, die immer wieder umgebaut wurden, anstatt sie abzureisen und neu zu errichten. Erst unsere Zeit ist der Meinung, dass alles immer neu sein muss und ein ‚Erneuern‘ einer Sache die schon da ist, grundsätzlich minderwertiger zu sein hat, als etwas Neues.
Also ‚back to the roods‘ und nur noch Sanieren?
Natürlich ist das auch kein Allheilmittel. Wir brauchen beides. Alt und Neu. Das wussten die Altvorderen auch schon. Allerdings sind sie weniger unbedacht mit dem Bestehenden umgegangen wenn sie etwas Neues gebaut haben. Sie haben es mehr respektiert, teilweise sogar wiederverwendet. Aus Sicht des Architekten kann man von echter ‚Transformation‘ eines Ortes nur dann sprechen, wenn man
etwas Elementares dieses Ortes umformt und in eine neue Form bringt. Das
Substanzielle bietet sich dafür hervorragend an, weil es für jeden Sichtbar ist und zudem schon vor Ort. Es ist also in mehrfacher Hinsicht etwas Nachhaltiges.
Daneben meint das Umgehen mit dem Bestehenden nicht ausschließlich, den baulichen Bestand zu modernisieren. Es meint ebenso, mit bestehenden Infrastrukturen, mit bestehenden Stadtfeldern und zur Verfügung stehenden Baustoffen umzugehen. Das kann auch bedeuten, etwas Neues zu schaffen, in dem man sich an der Umwelt orientiert. Das ist etwas, das unseren Architektinnen und Architekten verloren gegangen ist: Der gesunde Menschenverstand wird vom Systemtechnokratismus und jede Menge Standards darniedergemacht. Ob es sinnvoll ist oder nicht, was da entsteht spielt oftmals nur die sekundäre oder tertiäre Rolle. Wir – und damit meine ich die Zunft der Architektinnen und Architekten in einem der wichtigsten Länder der internationalen Baukultur – müssen erst wieder von neuem lernen, vernünftig zu bauen.
Sie sprechen den Architekten die Architektur ab?
Keineswegs. Ich meine nur sagen zu dürfen, dass mir dieser Weg, den die ‚übliche‘ Architekturwelt da einschlägt persönlich nicht gefällt und ich begründe das mit meiner Vorstellung von Vernunft. Eben davon lebt ja der Pluralismus: Dass der eine was sagt, das dem anderen nicht passt – schon haben beide ein wunderbares Diskussionsthema das beide Seiten weiterbringen kann.